Die AMIGA Philosophie
Es ist wirklich kraß:
Vor 1985 (wann genau weiß ich nicht, am 23 Juli 1985 wurde er jedenfalls erstmals vorgestellt), wurde der
Amiga als Spielekonsole konzipiert und mit der nötigen Hardware ausgestattet, also mit schneller Grafik und
fetzigem Sound. Der Konkurs der Firma Amiga und die Übernahme durch Commodore verhinderten dies, und der Amiga
1000, ein Bürocomputer mit graphischer Bedienoberfläche, die im übrigen sehr von der Spezial-Hardware
profitiert, entstand. Das ist mehr als 15 Jahre her, trotzdem hält sich seither tapfer das Spielcomputer-Image
des Amigas. Und das ungeachtet dessen, daß heute alle neuen Spiele zuerst und oft überhaupt nur für
PCs erscheinen.
Also gut, da oben steht was von Philosophie. Klingt mächtig hochtrabend, wie? Wenn's Euch beruhigt, es ist
nicht auf meinem Mist gewachsen. Und es ist ein Begriff, der auf anderen Rechnern wohl nicht viel bedeutet. Im
Großen und Ganzen weiß auch jeder (echte) Amigianer, was damit gemeint ist, auch wenn im einzelnen
jeder einen anderen Aspekt betont.
Warum tun Amiga-Benutzer sowas?
Kein PC-Benutzer würde doch jemals sein System gegen irgendwen verteidigen, schon weil ihn kaum einer angreift.
Aber vor allem auch, weil es da nix zu verteidigen gibt. Denn ein PC ist nichts besonderes, ist für nichts
besonderes geeignet, und daher für alles gleich schlecht (für PC-User ein klares "gut") zu
gebrauchen. Wer einen Amiga hat weiß genau, warum er einen benutzt, ansonsten wäre er schon auf ein
anderes System umgestiegen. Und weil ein Amiga-Benutzer weiß, daß es was zu verlieren gibt, wehrt er
sich gegen die Ignoranz. Ganz einfach.
Was gibt's denn schon zu verlieren?
Z.B. eine einfache transparente Bedienung. Amigas wurden schon immer mit Maus und grafischer Bedienoberfläche
ausgeliefert. In den 80ern war das noch Luxus und mußte beim Kauf eines IBM-kompatiblen dazugesagt werden.
Größere Amiga-Programme wurden und werden grundsätzlich mit einem GUI versehen. Rückschrittliche
Textmodi, die nur dazu verleiten, schwer bedienbare Programme zu schreiben (PC-User lieben ihren Norton-Commander/Explorer),
gab es nie. Selbst das Äquivalent zum MS-Dos das Amiga-Dos läuft in Console-Fenstern (mehrere sind gar
kein Aufwand) innerhalb des WB-GUIs und ist völlig ungezwungen zu bedienen. Meistens erledigen das Directory-Tools
(DOpus !), die in schier unerschöpflicher Vielfalt zu haben sind, einfacher. Zur einfachen Bedienung gehört
auch der AutoConfig-Mechanismus, der fast von Anfang mit von der Partie ist. Was Windows mehr schlecht als recht
unter Plug&Play (besser Plug&Replay) verkauft, bietet auf dem Amiga überhaupt keinen Diskussionsstoff:
Festplatte abklemmen, beim Kumpel am Rechner einstecken, fertig, läuft. Turbokarte mit viel Speicher, einstöpseln,
einschalten, staunen. Diskettenlaufwerk an durchgeschleiften Port anschließen, viertes Laufwerk, Amiga oder
PC-Diskette, völlig problemlos und dabei nicht ein Zeichen irgendeiner Konfigurationsdatei verändert.
CD-Laufwerk ... ok, Prinzip erkannt?
Fragt mich doch neulich ein Kumpel (PC-User, wie Ihr gleich sehen werdet), ob es auf dem Amiga so etwas wie Multitasking
gibt. Könnte ein prima Scherz sein, war aber leider ernst gemeint. Ich denke mir, er steht repräsentativ
für viele PC-User. Äh ja, also der Amiga hat Multitasking. Und zwar nicht nur einfach so, sondern preemptives,
seit 1986, klar, wenn's um Graphic, Sound und Rechnerei geht, dann sogar echte Parallelbearbeitung. Oder erzählt
mir jemand, das er jetzt für seinen PC so ein Programm hat, mit dem man die Ein-/Ausgabearbeit von Programmen
überwachen kann. Nur zur Information, bei uns heißt das SnoopDos und ist schon seit Ewigkeiten PublicDomain
(siehe unten). Oder auch der PC-User, der stolz erzählt, man könne seit neuestem auch einfach die Wechselfestplatten
auswechseln (siehe oben).
Public Domain
Was'n das? Public Domain heißt Öffentliches Eigentum und umfaßt alle Programme und andere Files,
die Amiga-Benutzer kostenlos oder gegen geringes Entgelt anderen Nutzern zur Verfügung stellen. Eine verkümmerte
Form ist Shareware bei PCs. Allerdings weder so verbreitet, noch preislich irgendwie vergleichbar, denn PC-Shareware-Gebühren
ragen schon weit in den LowCost-Bereich von kommerzieller Amiga-Software hinein. Amiga-Shareware dagegen ist wirklich
günstig. Musik- und Zeichenprogramme, Editoren vom feinsten, ja ganze Betriebssystemaufsätze, um nur
die größten Projekte zu nennen, für meist unter 50 DM.
Wie das geht? Tja, auf dem Amiga zu programmieren macht einfach Spaß. Eine Bedienoberfläche ist fix
programmiert, und auch sonst wird man hervorglänzend unterstützt. Zum Schluß wird alles irgendwo
in einer PublicDomain-Sammlung veröffentlicht oder wandert gleich ins AmiNet, und von dort früher oder
später auf eine CD. Weltweite Verbreitung garantiert.
Die Amiga-Gemeinde
Durch die Verbreitung von Programmen und eigenen Erfahrungen entsteht natürlich auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Mit seinen eigenen Programmen leistet man einen Beitrag für das Überleben des Amigas. Gemessen am Wachstum
des AmiNets dürfte es dem Amiga so gut wie nie zuvor gehen. Trotzdem fühlt man sich einer Minderheit
angehörig, die sich das, was sie geschaffen hat, bewahren will. Z.B. gerade das AmiNet, das als gigantisches
Programmarchiv (derzeit etwa 30 Giga-Bytes) für einen totgesagten Computer seines gleichen sucht. Eigentlich
müßten uns PC-User darum beneiden, wenn sie nicht so arrogrant über den Dingen stehen würden.
Auf dem Amiga gibt es seither die verschiedenen IF-Formate, von denen sich besonders das Bild- und das Sampleformat
bewährt haben. Jedes Amiga-Programm verwendet beim Laden eines Bildes das IFF-ILBM-Format, bei Samples entsprechend
IFF-8SVX. Und obwohl das Problem mit der unmöglichen Vielzahl (allerdings ohne nennenswerte Vielfalt) an Formaten
eigentlich die PCs haben, gibt es bei uns seit der Kickstart 3.0 die Lösung für das Problem in Form von
DataTypes. Diese sind ein bißchen vergleichbar mit dem OLE von Windows, aber wirklich nur ein bißchen.
Ausnutzung der Resourcen
Viele halten es für professionell, wenn ein Computer viel Speicher und Rechenleistung braucht. Ich halte es
eher für Unfähigkeit zum effizienten Programmieren. Mal zum Vergleich: Unser Betriebssystem breitet sich
auf einem 0.5 MB-Rom und einigen nicht ganz so essentiellen Dateien auf Diskette aus. Nach dem Hochfahren fehlen
einem je nach Belastung mit diversen Commodities 0.5MB-1MB vom Ram. D.h. mit 2 MB lassen sich alle Mittelklasse-Programme
starten, bei 4 MB hat man auch mit umfangreichen Programmen keine Probleme, bei 8 MB muß man schon einige
Programme parallel laufen lassen, damit der Speicher voll wird und bei 16 MB ist es geradezu aussichtslos, den
Speicher voll zu kriegen, wenn man nicht gerade RayTracing betreibt oder darauf besteht, MPEG-Animationen in der
RamDisk zu verwalten. Überlegt mal, was man mit 16 MB unter Windoof anfangen kann! Ohne Auslagerungsdatei,
versteht sich, denn beim Amiga ist das auch nicht üblich.
Das gleiche gilt für Festplattenkapazität und Prozessorleistung. Beim letzteren allerdings mit dem Unterschied,
das Motorola zugunsten seiner PowerPC-Chips, den MC68060 (zeitlich äquivalent zum Pentium) bei 75MHz und einem
hohen Preis belassen hat. Trotzdem ist beim Amiga schon mit deutlich weniger Megahertzen eine ordentliche Arbeitsgeschwindigkeit
mit GUIs zu verzeichnen. Das liegt vor allem daran, daß der Blitter das Fenster-Handling, die Sprite-DMA
den Mauszeiger und der Copper das Screen-Dragging (unter allen Computersystemen einmalig) übernimmt, um nur
die wichtigsten Dinge zu nennen.
Unter dem Strich bleibt, daß man auf dem Amiga immer versucht hat und noch versucht, alle Mittel der aktuellen
Technik zu nutzen, sich nicht auf hemmende Standards einzulassen (nicht auf keine Standards, sondern nur auf die
unflexiblen nicht). Im aktuellen Fall des Umstiegs auf PowerPC, nimmt man dabei sogar Inkompatibilitäten in
Kauf. Die meisten PC-User schlagen an diesem Punkt die Hände über dem Kopf zusammen, aber mal ehrlich,
auf dem neusten Windows läuft auch nicht mehr alles, und irgendwann muß für ein Programm auch mal
Schluß sein, wenn es nur noch läuft, aber gemessen an neuen Programmen keinen Komfort mehr bietet.
Auf dem Amiga nennt man's Spielerei auf PCs Multimedia
Es ist wirklich wahr: Solange bei PCs eine Soundkarte noch extra zu erwerben war, verlor niemand ein Wort darüber,
aber heute ist es das, worauf jeder beim Kauf eines PCs achten sollte: Multimedia. Keiner weiß, was es bedeutet,
aber alle müssen es haben und die Werbeexperten versprechen einem das Blaue vom Himmel. Neu ist es keinesfalls,
wie gesagt, der Amiga beherrscht Grafik, Sound und Datenschaufeln im Parallelbetrieb seit mehr als 15 Jahren. (Und
das ist in der Computerbranche ein Zeitalter.) Aber jetzt auf einmal ist es eben etwas.
Und trotzdem: Wer Malen, Musik, Ray-Tracing oder alles vereint als Video-Bearbeitung betreiben will, kommt am Amiga
einfach nicht vorbei. Auch wenn die als unvoreingenommenen Tester von der Stiftung-Warentest konsequent alles Amiga-relevante
meiden. In der Praxis sieht's jedenfalls so aus, daß jeder Amiga-Benutzer den ich kenne, eines jener oben
genannten kreativen Hobbys am Amiga verfolgt, während unter den PC-Usern, von denen ich ungleich mehr kenne,
ihren PC hauptsächlich zum Spielen und Briefe schreiben verwenden.
Gibt's den Amiga überhaupt noch?
Diese oder die ähnlich geartete Frage "Hast Du noch Deinen Amiga?" wird häufig an mich herangetragen
und unterstreicht jedesmal, wie wenig PC-User doch über den Computer wissen, den sie mit Vorliebe belächeln.
Zunächst ein kurzer Geschichtsabriß: Zuerst gab es die kleine Firma Amiga, welche bahnbrechende Spielekonsolen
auf den Markt bringen wollte. Noch vor Markteinführung ging ihr allerdings die Luft aus, und sie wurde von
Commodore geschluckt. Selbst Commodore ist also eigentlich nicht die Firma, die Amiga ins Leben gerufen hat. Commodore
hat allerdings aus der Spielekonsole einen Desktop-Rechner gemacht, den legendären Amiga 1000. Im weiteren
ruhte sich Commodore aber auf den Lorbeeren aus und steckte das mit Amiga verdiente Geld lieber in die Entwicklung
von MS-DOS-PCs und verlor letztendlich durch diese Politik 1992 beides: die PC- und die Amiga-Linie. Amiga wurde
von ESCOM übernommen, es wurden große Pläne geschmiedet und ... nicht verwirklicht, weil ESCOM
pleite ging. Dann hielt VISCorp den Laden für etwa ein Jahr auf, bis sie entschieden hatten, nun doch keine
Settop-Boxen mit Amiga-Technologie zu entwickeln. Im April 1997 kam dann eine Firma, die groß genug schien,
dem Amiga wieder neues Leben einzuhauchen. Nach langer Zeit der Funkstille entschied man sich, noch ein letztes
OS-Update für die alten Amigas nachzuschieben und eine neue Amiga-Reihe aufzulegen, die aber nur noch durch
den Namen und eine Emulation mit den originalen Amigas verwandt sein sollte, und im Prinzip auch nur eine mit Chips
für Standardaufgaben wie 3D-Grafik, MPEG, Dolby-Surround, MIDI etc. vollgestopfte Maschine sein sollte. Also
war's vielleicht ganz gut, daß Gateway im September 1999 herausfand, daß sie eigentlich noch nie selbst
Hardware entwickelt haben und das deshalb auch jetzt nicht tun wollten. So zogen sie sich auf die Entwicklung einer
objektorientierten Java-basierten Systemumgebung zurück.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Daß alle bisherigen Eigner an der Amiga-Technologie gescheitert
sind, liegt nicht daran, daß sich die Technologie nicht verkaufen läßt, sondern vielmehr daran,
daß die Leute einfach keine Ahnung davon haben. Wie oft hat Commodore in Zeitplan und Weiterentwicklung enttäuscht,
wie kurzsichtig waren die Pläne, die unter ESCOMs Fuchtel entstanden, wie wenig Fingerspitzengefühl hat
Gateway2000 beim Umgang mit der Amiga-Gemeinde bewiesen? Das Dilemma scheint zu sein: Um Amiga eine angemessene
Entwicklung angedeihen zu lassen, bedarf es einer großen finanzstarken Firma. Warum aber sollen solche Firmen
in Amiga investieren, wo sie ihr Geld auch viel einfacher mit Standard-PCs verdienen können?
Aber: Was uns nicht sofort tötet, stärkt uns nur.
In der langen Zeit, in der am Amiga nicht mehr entwickelt wurde, entstanden einige Eigeninitiativen, die hoffnungsvolle
Amiga-Alternativen darstellen. Eine von ihnen, die aus ehemaligen Amiga-Mitarbeitern entstandene Firma Amino, hat
Anfang Januar 2000 von Gateway Amiga-Namen, Logo, Hardware, Betriebssystem und Inventar erstanden. Daneben gibt
es noch einige andere Amiga-Rettungsinitiativen, von denen ich nur hoffen kann, daß sie sich nicht gegenseitig
im Weg stehen werden. Diese sind Phoenix, KOSH, PowerOS, COSA, Boxer und womöglich noch andere.
Congratulations!
Du hast es bis zum Ende dieses Textes geschafft. Das läßt für mich nur folgende Schlüsse zu:
Du bist Amiga-User. oder
Du bist ehemaliger Amiga-User. oder
Du bist völlig neutral in Bezug auf verschiedene Computersysteme. oder
Du bist einer der wenigen PC-User, die andere Computersysteme neben ihrem gelten lassen. oder
Du hast den Text übersprungen, um gleich das Ende zu lesen. oder
Du liest Texte grundsätzlich rückwärts.
|